Rückschritt für den Infektionsschutz in Deutschland

 

Bundestag beschließt Änderungen des Infektionsschutzgesetzes

 

Das heute im Deutschen Bundestag beschlossene Bevölkerungsschutzgesetz (3. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite) setzt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auf möglichst einheitliche Maßnahmen bundesweit, statt auf die bisherigen länderspezifischen Regelungen. „Das begrüßen wir. Die Neuregelungen zu den Infektionstests sind aber ein Rückschritt für den Infektionsschutz in Deutschland“, bewertet der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL) die heutige Novelle, die noch durch den Bundesrat bestätigt werden muss. „Der Bundesgesetzgeber stellt die fachliche Zuständigkeit der Ärztinnen und Ärzte für die Infektionsdiagnostik in Frage, in dem er die Vor-Ort-Tests auch zur Eigentestung freigibt, obwohl die Antigen-Schnellteste bereits jetzt deutschlandweit für Negativschlagzeilen sorgen“, fasst der Vorsitzende Dr. Andreas Bobrowski die Kritik des BDL zusammen.

 

Das Infektionsschutzgesetz legt fest, dass die Feststellung und Heilbehandlung von Infektionskrankheiten nur durch Ärztinnen und Ärzte erfolgen darf. Ausgenommen von diesem Arztvorbehalt waren bisher nur die patientennahe HIV-, Hepatitis-C- und Syphilis-Diagnostik, also Erkrankungen, für die klare Therapiekonzepte mit entsprechenden Heilungschancen vorliegen. Wenn das geänderte Infektionsschutzgesetz mit dem ergänzten Paragraphen 24 in Kraft tritt, können patientennahe Schnelltests auf das Coronavirus beispielsweise auch bei Bewohnern und Bewohnerinnen eines Altenheimes mit unklaren Symptomen in Eigenanwendung vor Ort durchgeführt werden. Aus einem positiven Testergebnis ist es zudem dann zulässig, ohne ärztliche Beteiligung Therapiemaßnahmen für die betagten Hochrisikopatienten abzuleiten. Damit öffnet der Bundesgesetzgeber die medizinische Infektionsdiagnostik mitten in der größten gesundheitlichen Bedrohungslage seit Jahrzehnten auch für die Eigenanwendung und bürdet den Verantwortlichen vor Ort eine enorme Verantwortung auf.

 

„Das Bevölkerungsschutzgesetz ist ein Dammbruch, der weit über die aktuellen Herausforderungen hinausweist“, so Bobrowski. „Mit diesem Gesetz wird aus medizinischer Sicht der deutsche Erfolgspfad in der COVID-19-Pandemie ein Stück weit preisgegeben – warum, verstehen wir nicht. Deutschland ist derzeit ein Vorbild für andere Nationen, die mit viel höheren Infektionszahlen und mehr Todesfällen konfrontiert sind. Jetzt werden aber sensible Bereiche wie Altersheime und Krankenhäuser mit Schnelltests auch zur Eigenanwendung geflutet, obwohl das RKI und die WHO vor deren Unzuverlässigkeit warnen.“

 

Der BDL verweist auch auf Unstimmigkeiten in der Argumentation der Urheber des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes: Einerseits werde auf die herausragende Bedeutung der schnellen und elektronischen Meldung von positiven SARS-CoV-2 Tests hingewiesen. Gleichzeitig würden jedoch Schnelltestergebnisse explizit von der Meldepflicht ausgenommen. Dies konterkariere die effektive Eindämmung der COVID-19-Pandemie mit ihren teilweise tödlichen Krankheitsverläufen. Dass die Urheber des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes gemäß den verpflichtenden Prüfkriterien auf Bürokratiekosten-Einsparungen bei der Nachverfolgung aufgrund reduzierter Meldungen an die Gesundheitsbehörden verwiesen, mute geradezu sarkastisch an.

 

Es liege nun in der Verantwortung des Bundesgesundheitsministers, über die vom Bund finanzierten Testprogramme offene Fragen zu denjenigen Coronavirus-Tests zu klären, die vor Ort ohne ärztliche Aufsicht durchgeführt werden sollen. Der BDL benennt hierzu fünf Kernfragen:

  • Wie werden die Schnelltest-Ergebnisse laborärztlich abgesichert?
  • Wann müssen unter den Bedingungen des geänderten Paragraf 24 Infektionsschutzgesetz Ärzte zur Therapie möglicherweise schwer erkrankter Patienten und Patientinnen hinzugezogen werden?
  • Wie kann das Monitoring des Infektionsgeschehens fortgeführt werden, obwohl die Schnelltest-Ergebnisse nicht an die Gesundheitsbehörden gemeldet werden müssen?
  • Wie können die Test-Durchführenden vor Ort den Schutz sensibler Patientendaten sicherstellen?
  • Wie wird verhindert, dass sich Testende bei der Testung infizieren oder Unbeteiligte sich durch unsachgemäße entsorgte Schnelltests anstecken?